So werden Marken zu visuellen Storytellern

Petra Sammer
7 min readOct 11, 2021
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»It’s all storytelling, you know« - Tom Brokaw

Storytelling ist zum Allheilmittel der modernen Kommunikation. Ob Journalismus, Marketing oder auch PR, die unterschiedlichsten Kommunikationsdisziplinen versuchen den Begriff immer wieder für sich zu vereinnahmen und zu besetzen. Unzählige Definitionen des Fachbegriffs »Storytelling« kursieren und machen die Einordnung dieser Methode nicht einfach.

Doch wo auch immer »Storytelling« letztendlich beheimatet ist, entscheidend ist, dass der Begriff eine Schnittmenge darstellt, die für die Unternehmenskommunikation von höchstem Interesse ist. Storytelling ist eine Methode der Überredungskunst. Durch Geschichten lassen sich kritische Zuhörer nachweislich besser überzeugen als durch rationale Argumente. Storytelling ist daher als rhetorisches Mittel zu verstehen, und visuelles Storytelling kommt in Reden und Präsentationen bildstark zum Einsatz.

Die ursprüngliche Herkunft des Begriffes liegt in der Kunst. Literatur, Theater und Film sind nur einige der künstlerischen Ausdrucksformen mit narrativer Erzählstruktur. Ob Mythos, Märchen, Roman oder Kurzgeschichte, ob oral, verbal, visuell oder interaktiv erzählt — jedes Zeitalter präsentierte seinem Publikum Geschichten in neuer Form.

Seit Anfang des 21. Jahrhunderts erfährt Storytelling eine Renaissance. Die Skepsis gegenüberdieser subjektiven Form der Berichterstattung ist zwar groß, da sie als zu emotional gilt, doch entpuppt sich das exemplarische Erzählen mehr und mehr als Erfolgskonzept — online wie offline. Der jüngste Wirkungskreis von Storytelling sind Unternehmenskommunikation und Marketing. Geschichten werden hier als frische Kommunikationstechnik eingesetzt, um interne und externe Zielgruppen wirkungsvoll anzusprechen, wenn altbekannte Rezepte an ihre Grenzen stoßen. Unternehmen nutzen Storytelling dabei nicht mehr nur in der engen Definition der »Corporate Story«, der Darstellung der eigenen Unternehmensgeschichte, sondern sie setzen die Persuasionskraft, die Kunst des exemplarischen Erzählens sowie die künstlerischen Elemente des Storytellings in allen Bereichen der Unternehmenskommunikation und des Marketing ein.

Content — Context — Creation

Unternehmen, die visuelles Storytelling strategisch in ihre Kommunikation einplanen, orientieren sich an drei »Cs«: Content, Context und Creation.

1. Content-Management definiert die Inhalte des visuellen Storytellings. Es beginnt mit der Analyse der Corporate Identity und des Markenkerns als Basis zukünftiger Geschichten und reicht bis zur Festlegung visueller Kernelemente wie Form- und Farbsprache von Symbolen und Bildern. Darüber hinaus werden Key Visuals festgelegt, zentrale Bildelemente, die die Wiedererkennung garantieren (visuelle Hubs), sowie Erzähl- und Bildwelten, mit denen das Unternehmen oder die Marke nach innen und außen auftreten (visuelle Highlights).

2. Context-Management bezeichnet Strategien und Taktiken, die die Beziehung des Unternehmens mit seinen Ziel- und Stakeholder- Gruppen gestalten. Hierzu zählt die Festlegung aller Kommunikationsmedien (Owned, Earned, Paid), Kommunikationskanäle und Communities (Facebook, Instagram, LinkedIn etc.) sowie der Kommunikationsanlässe (Timings).

3. Creation-Management schließlich bezeichnet die Auswahl und Gestaltung der Werkzeuge, die für visuelles Storytelling zum Einsatz kommen, sowie die interne Organisation der Kommunikationsarbeit. Insbesondere hier ist eine Neuausrichtung notwendig, denn visuelles Storytelling stellt einige Ansprüche an die Unternehmenskommunikation und das Marketing, die von herkömmlichen Strukturen und dem gewohnten Einsatz Ressourcen abweichen.

Die visuelle Sprache finden

Fragt man den Markenguru David A. Aaker, was eine Marke ausmacht, so bekommt man vier Antworten:

· »Marke definiert sich aus dem Produkt.« (Produkteigenschaften, Qualität und Wertigkeit, Anwendungsgebiete und Produktionsort)

· »Marke definiert sich aus dem Unternehmen.« (Unternehmensorganisation, Regionalität)

· »Marke definiert sich als Person.« (Markenpersönlichkeit, Beziehungsfelder zwischen Marke und Kunden)

· »Marke definiert sich durch Symbole.« (visuelle Bildsprache sowie Ton, metaphorische Symbolik und Markenherkunft)

Der »Urvater« der Marke legte mit diesem Modell bereits Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts den Grundstein für das Storytelling moderner Marken. Denn Marken sind visuelle Storyteller. Nicht nur, weil Aaker in seiner Definition die visuelle Symbol- und Bildsprache von Marken betont, sondern auch und vor allem, weil die Grundfunktionen von Marken mit denen visueller Storys übereinstimmen.

Corporate Identity und Corporate Design sind die Basis der visuellen Sprache eines Unternehmens und einer Marke. Ihre wichtigsten Elemente sind dabei Farben, Formen und Key-Visuals. Hierzu zählt selbstverständlich das farbgebende Logo einer Marke, aber auch typische Produktformen und Muster. Denken Sie etwa an die einzigartige Flaschenform von Coca-Cola oder die Dreiecksform von Toblerone sowie wiederkehrende Symbole und Key-Visuals wie zum Beispiel das Segelschiff der Biermarke Becks oder den Granny-Smith-Apfel der Zahnpasta Blend-a-med. Effektives visuelles Storytelling nutzt diese definierten Markenelemente und setzt sie narrativ ein. Modernes Marken-Modelling umfasst allerdings nicht nur feststehende Inhalte (Identity) und Symbole (Design), sondern auch dynamische.

Bildräume und-welten für Marken

Zur visuellen Sprache einer Unternehmensmarke gehört daher auch die Festlegung von Bildräumen und Bildwelten, die mit der Marke assoziiert werden. Gemeint sind die Bildtonalität und Ästhetik einer Marke, die weltweit verstanden und eindeutig zugeordnet werden kann.

»Mit austauschbaren Texten und Bildern kann man nicht auffallen, sich unterscheiden und einzigartig attraktiv sein.«

Der Kommunikationsexperte Dieter Georg Herbst geht in seinem Buch »Bilder, die ins Herz treffen« mit den Bildwelten und der Bild-PR deutscher Unternehmen hart ins Gericht:

»Unternehmen schöpfen die Potenziale von PR-Bildern bislang nicht aus. Ein kostspieliges Versäumnis: Unternehmensbotschaften werden künftig vor allem durch PR-Bilder vermittelt, da Texte an Bedeutung verlieren. Mehr noch: Bilder werden künftig über den Kommunikationserfolg entscheiden. Wer auf den Einsatz professioneller Bilder verzichtet, verschenkt eine Chance, sich im Wettbewerb zu behaupten.«

Dabei ist Herbst vor allem der Einfluss auf die »inneren« Markenbilder wichtig: »Ein Image setzt sich aus allen Vorstellungsbildern zusammen, die wir von etwas haben«, denn innere Bilder …

· setzen Produkte von der Masse ab,

· sorgen für Wiedererkennung,

· emotionalisieren und

· helfen Kunden, sich mit dem Produkt zu identifizieren.“ so Herbst weiter.

RaumFiktionen

Visuelle Storyteller gehen daher von einem umfassenderen Markenbegriff aus als der puren Definition von Logo, Formen und Farben. In Anlehnung an Game- bzw. Computerspieldesign gilt es, als Basis zukünftiger Markenstorys eine »RaumFiktion« zu definieren. Diese beschreibt den räumlichen, aber auch optischen und zeitlichen Raum eines Spiels, der die Erzählwelt begrenzt und in dem sich die Spieler bewegen. Sie legt die Regeln fest, die für das jeweilige Game gelten. Die »RaumFiktion« hat damit entscheidenden Einfluss auf die Identifikations- und Immersionskraft des Spiels und somit auf den Erfolg des Spiels.

Ganz ähnlich sollten auch Marken ihre »Erzählwelt«, ihre »Raum- Fiktion«, abstecken. Zwei Bezugspunkte helfen dabei, diese Eingrenzung vorzunehmen:

1. »Heritage«: die Markenherkunft bzw. der Gründungsmythos einer Unternehmens- oder Produktmarke

2. »Core«: der Markenkern bzw. die Vision einer Marke

Gründermythen

Markenherkunft und Gründungsmythos sind rückwärtsgewandte narrative Konzepte, basierend auf der Entstehungsgeschichte eines Unternehmens oder einer Marke. Diese Storys zeigen die Gründungsväter und -mütter als »Überfiguren« und beschwören den Gründungsgeist und die Vision, die wegweisend waren und bis in die Gegenwart Gültigkeit haben.

Schönes Beispiel für die RaumFiktion einer Heritagestory ist der fantastisch erzählte Gründungsmythos der Marke Chanel — erzählt von Karl Lagerfeld. In „Reincarnation“ lässt Lagerfeld Geraldine Chaplin als Coco Chanel und Pharrell Williams als Liftboy auftreten, um zu erzählen, wo Coco Chanels die Idee zu ihrer berühmten Kostümjacke hatte: in einem Hotel in der Nähe von Salzburg 1954. Noch weiter geht Chanel mit der Videoserie »Inside Chanel«. In 44 Filmen erfährt der Kunde Details zur Geschichte der Marke und wird darüber hinaus dazu eingeladen, in das Innere der Marke vorzudringen, um Markenkern und Markenvision von Chanel zuentdecken.

Core-Stories

»Core«, der Markenkern und die Vision einer Marke, verweisen im Gegensatz zum Gründungsmythos nicht auf die Vergangenheit, sondern definieren Gegenwart und Zukunft einer Marke. Wie die Gründungsgeschichte, so gilt es auch diese Werte und Visionen narrativ und visuell zu erzählen. Apple tat das 2013, zwei Jahre nach dem Tod des Firmengründers, mit einem »Manifesto« in einem für Apple typisch reduzierten Stil — und Erzählraum — alternativ erzählt hier.

Checkliste für Marken

Jetzt wollen Sie selbst ran? Den passenden Bildraum für Ihre Marke finden? Dann habe ich Ihnen hier ein paar Fragen und Hinweise, damit Sie Ihre eigene visuelle Sprache finden:

· Farben: Welche Farbwelten werden durch Ihr bestehenden das Corporate Design definiert? Sind dies Farben, die Ihr Unternehmen und Ihre Marke unverwechselbar machen, oder müssen Sie zur Differenzierung auf andere visuelle Elemente zurückgreifen?

· Design: Bietet Ihr Produkt ein außergewöhnliches Design, Form und Kontur? Eine Form, die sich markant vom Wettbewerber abhebt und merkfähig ist? Lassen sich solche Formate eventuell kreieren? Finden sich andere »typische « Formen, die man in der Kommunikation verwenden kann, z. B. Gebäudeformen, Fahrzeuge etc.? Durchforsten Sie Ihr Unternehmen auf ungewöhnliche Formen und Umrisse, die Ihnen ein Alleinstellungsmerkmal geben.

· Key-Visuals: Welches Bild soll Ihr Kunde im Kopf haben, wenn er oder sie an Ihr Unternehmen und Ihre Marke denkt — abgesehen vom Produkt selbst oder dem Logo? Gibt es ein Key- Visual, das Ihnen hilft, Ihre Geschichte zu erzählen?

· Bildwelten: Erstellen Sie ein »Moodboard« (Collage) mit der Bildwelt, die Ihr Unternehmen oder Ihre Marke repräsentiert (ohne die Produkte und das Logo zu verwenden). Unterscheidet sich diese Bildwelt von der Ihrer Wettbewerber? Zeigen Sie die Collage Kunden und Meinungsbildnern und prüfen Sie, ob die Bildwelten tatsächlich Ihr Unternehmen bzw. Ihre Marke repräsentieren.

· Gründermythos: Definieren Sie die Geschichte und die Bilder, mit denen Sie den Gründungsmythos Ihres Unternehmens und Ihrer Marke erzählen.

· Markenkern: Beschreiben Sie den Markenkern Ihrer Unternehmens- und Produktmarke in Worten und Bildern (als Grafik, Foto, Moodboard/ Collage, Film, Multimediastory oder interaktiv) und probieren Sie möglichst viele Werkzeuge des visuellen Storytellings aus.

Mehr zum Thema „Visual Storytelling“ und weitere Tipps und Tricks finden Sie in dem Buch, aus dem dieser Text stammt: „Visual Storytelling: Visuelles Erzählen in PR und Marketing“ von Petra Sammer und Ulrike Heppel, Verlag O´Reilly. — und auf diesem Blog: Amazing Stories.

Sie wollen sich kreativ inspirieren lassen? Dann hören Sie doch in den aktuellen Podcast „Kreative Kommunikation“ von Archetype rein. Hier durfte ich einige Tipps und Tricks verraten, wie man auf neue Ideen kommt und wie man frische Ideen präsentiert. Viel Spaß beim Hören.

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Petra Sammer

pssst… Petra Sammer is a communications strategist, ideacoach, creative, speaker & book author — www.petrasammer.com