Kein hässliches Entlein — Ihre Signature Story

Petra Sammer
6 min readJun 2, 2020

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Photo by Kevin Grieve on Unsplash

»Ich wuchs in Charleston auf. Das ist eine stolze Südstaatenstadt (…). Und in Charleston ging ich auf eine Mädchenschule. Sie haben nicht die leiseste Ahnung, was es heißt, in einer Mädchenklasse zu sitzen, wenn man dicke Brillengläser, eine Zahnspange und orthopädische Schuhe trägt. Ich war halb jüdisch und halb WASP (White Anglo-Saxon Protestant). Mehr Außenseiter ging nicht. Als ich in den 80ern bei Salomon Brothers als erste Frau in einer Männerwelt anfing, konnte nichts Schlimmeres kommen — nichts Schlimmeres im Vergleich zur siebten Klasse einer Mädchenschule in Charleston.«

Das Mädchen aus der siebten Klasse ist Sallie Krawcheck. 2002 wurde sie von der Times als »Global Influential« betitelt und von Fortune als eine der »most influential persons under the age of 40« gewürdigt. Krawcheck war CEO von Smith Barney, einer Citibank-Tochter, und als erste Frau an der Wall Street übernahm sie die Verantwortung für über 13.000 Banker und Analysten. Zwei Jahre später wurde sie CFO der Citibank und vom Forbes Magazin in die Liste der »100 most powerful women« aufgenommen. 2005 und 2006 zählte sie zu den zehn mächtigsten Frauen der Welt. Das Mädchen aus Charleston, das einst eine dicke Brille, Spange und orthopädische Schuhe getragen hatte.

Die Geschichte vom kleinen Mädchen, das in der Mädchenschule schwer zu leiden hatte, erzählte Sallie Krawcheck 2006 erstmals dem Journalisten Geoffrey Colvin, der sie für das FORTUNE Magazin interviewte. Und Krawcheck wiederholte ihre Außenseiterstory, die sie auf die Härten des Lebens vorbereitete, von da an immer wieder.

Diese kleine Anekdote ist das, was Personalberater Signature Story nennen. Ähnlich wie die Unterschrift (die Signatur) eines Menschen ist eine Signature Story einzigartig und nicht kopierbar. Und ähnlich wie Grafologen an die Aussagekraft einer Unterschrift glauben, so sagt auch eine Geschichte etwas aus über die Person, die sie erzählt.

Vom hässlichen Entlein zum Schwan

Über Sallie Krawcheck lernen wir eine ganze Menge in dieser kleinen Story. Sie stammt aus dem Süden der USA, was für manchen Amerikaner schon aussagekräftig genug sein sollte. Charleston ist eine Stadt mit Tradition. Viele Bauten der Stadt sind original im Greek-Revival-Stil des 19. Jahrhunderts erhalten, kaum eine amerikanische Stadt konnte ihr Stadtbild so bewahren wie Charleston, das um 1690 der größte Umschlagplatz des Sklavenhandels war. Als Sallie Krawcheck 2006 ihre Geschichte erstmals erwähnt, zählt Charleston zu den zehn gefährlichsten Städten der USA. Auf 100.000 Einwohner kommen über 800 Gewaltverbrechen. Krawcheck steht also bewusst zu ihrer traditionellen und auch rauen Herkunft und macht dem Zuhörer von vornherein klar: Nichts kann sie erschrecken. Und mehr noch. Sie weiß sich durchzusetzen. Denn auch wenn nur die wenigsten der Zuhörer und Leser eine reine Mädchenklasse selbst erfahren haben, klischeehafte Vorstellungen reichen aus, um sich in die Lage zu versetzen und zu verstehen, wie schwer es für ein Mädchen in so einer Klasse werden kann, das sich hässlich fühlt.

Aber sie hat es geschafft. Aus dem hässlichen Entlein mit Brille, Spange und klobigen Schuhen ist ein schöner Schwan geworden. Cinderella lässt grüßen und auch der Mythos des amerikanischen Traums, das allgegenwärtige amerikanische Ur-Motto: »You can do it!« Unerschrockenheit, Durchsetzungsvermögen und Machereigenschaften sind die Qualitäten, die uns Sallie Krawcheck charmant mit ihrer kleinen Geschichte präsentiert — was will man mehr verlangen von der CFO der damals größten Bank, der Citibank, und einer der zehn mächtigsten Frauen der Welt.

Eine persönliche Signature Story ist ein mächtiges Instrument. Anstatt die eigenen Charaktereigenschaften, Werte und Überzeugungen aufzuzählen, was klischeehaft oder auch arrogant erscheinen kann, präsentiert eine Geschichte diese Stärken unterhaltsamer, einprägsamer und effizienter.

Die Großzügigkeit des Storytellers

Doch Vorsicht, es geht nicht um irgendeinen Schwank aus Ihrem Leben. Eine gute Signature Story erfordert ein ganz besonderes Momentum gepaart mit emotionaler Tiefe. Anstatt »einfach mal eine Geschichte über sich« zum Besten zu geben, sollten Sie Ihr Publikum ernsthaft an einem entscheidenden Moment in Ihrem Leben teilhaben lassen. Signature Stories nehmen das Publikum mit und laden es auf eine Zeitreise ein. Diese Einladung ist eine offene, ehrliche und extrem großzügige Offerte. Denn es werden Einblicke in das ganz persönliche Leben und die besondere Persönlichkeit des Redners gewährt. Es sind Einblicke, die selten und kostbar sind.

Viele glauben, dass gute Geschichten das Ergebnis spannender Dinge sind, die immer nur den anderen passieren — eben diesen Leuten, denen immer spannende Sachen passieren. Aber im Leben »normaler Menschen« passieren solche Dinge eigentlich nie. Also haben »normale Menschen« auch keine interessanten Geschichten zu erzählen. Eine völlig falsche Annahme. Menschen, die viele Geschichten erzählen, leben nicht unbedingt ein aufregenderes Leben. Sie sind nur bereit, großzügig von ihrem Leben mit all seinen täglichen Schwierigkeiten und Problemchen zu berichten. Und sie tun das auf eine unterhaltsame Art und Weise. Großzügigkeit ist unter Storytellern eine weitverbreitete Eigenschaft, so Filmproduzent Peter Gruber, der fest daran glaubt, dass sich das Prinzip des Storytellings der Unterhaltungsindustrie auch auf Unternehmenskommunikation übertragen lässt:

»It demands generosity on the part of the storyteller. Why? Because it often requires being vulnerable — a challenge for many leaders, managers, salespeople, and entrepreneurs. By willingly exposing anxieties, fears, and shortcomings, the storyteller allows the audience to identify with her and therefore brings listeners to a place of understanding and catharsis, and ultimately spurs action.« — Peter Gruber

Startpunkte Ihrer Signature Story

Seien Sie also großzügig bei Ihrer Signature Story und nehmen Sie Ihr Publikum mit auf die Reise. Führen Sie Ihre Zuhörer an einen für Sie persönlich wichtigen Zeitpunkt in Ihrem Leben, an einen bedeutenden Ort, zu Menschen, die für Sie wichtig waren oder sind:

• Erzählen Sie von einem schwierigen Moment, einem Problem, einer Entscheidung, vor der Sie standen. Ganz egal, ob Sie das Problem bewältigen konnten oder ob Sie scheiterten. Erzählen Sie, warum dieser Moment Ihrem Leben eine Wendung gab oder sich Ihr Blickwinkel dadurch verändert hat.

• Erzählen Sie von einem lustigen Ereignis, das dazu beigetragen hat, dass Sie heute über einen bestimmten Aspekt anders denken und fühlen.

• Teilen Sie mit den Zuhörern eine Lektion, die das Leben Ihnen erteilt oder die Sie aus Ihrer Karriere mitgenommen haben. Erzählen Sie, wie Sie diese Erfahrung gemacht haben und warum Sie die gewonnene Erkenntnis als »Geschenk« an andere weitergeben wollen.

• Erzählen Sie von einem Ihrer besten Lehrer und Mentoren und wie er oder sie Ihnen geholfen hat, Ihre Karriere weiterzuentwickeln und Sie als Mensch geprägt hat.

• Sprechen Sie über Menschen, die Sie bewundern, die Sie beeinflusst haben, von denen Sie lernen und die ein Vorbild für Sie sind.

• Erzählen Sie von einem Fehler, den Sie gemacht haben, und warum Scheitern manchmal hilfreich sein kann.

• Suchen Sie nach einem Moment, der Sie tief bewegt hat und der unterstreicht, warum Sie heute so sind, wie Sie sind.

• Beschreiben Sie einen Ort, der Ihnen viel bedeutet, und erzählen Sie die Geschichte dazu (eine Stadt, eine Garage, eine Küche, eine Ecke im Garten, ein Baum …).

Scheuen Sie nicht die Arbeit. Gehen Sie Schritt für Schritt diese Story- Optionen durch: Wozu fallen Ihnen spontan Geschichten ein? Wann müssen Sie länger nachdenken? Schreiben Sie zunächst Stichwörter auf und formulieren Sie dann ausführlich die Geschichte. Ergänzen Sie gezielt Details und schmücken Sie sie bildreich aus. Machen Sie es Ihren Zuhörern leicht, sich in die Situation hineinzuversetzen. Testen Sie Ihre Stories schließlich mithilfe guter Freunde. Diskutieren Sie gemeinsam, welche Geschichte relevant und unterhaltsam ist und welche Sie als Person am besten repräsentiert.

Und fangen Sie an zu erzählen.

Na, neugierig geworden Dann lesen Sie weiter in dem Buch: What´s your Story? Leadership Storytelling für Führungskräfte, Projektverantwortliche und alle, die etwas bewegen wollen, erschienen 2019 im O´Reilly Verlag. Oder aber Sie kommen in einen meiner Workshops und Trainings. Zum Beispiel in das Webinar „Storytelling in Rede und Präsentation“ — das findet am 15. September statt. Alle Infos finden Sie auf der Webseite der news aktuell Academy. Ich freue mich auf Sie.

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Petra Sammer

pssst… Petra Sammer is a communications strategist, ideacoach, creative, speaker & book author — www.petrasammer.com