Die Formel erfolgreicher Stories

Petra Sammer
4 min readOct 18, 2021
Photo by Michal Matlon on Unsplash

Die strategische Bedeutung von visuellem Storytelling in der Unternehmens- und Produktkommunikation erfordert nicht nur ein Umdenken in Bezug auf den Einsatz visueller Elemente, sondern stellt auch neue Anforderungen an die Struktur von Kommunikationsteams, ihre Organisation und ihre Arbeitsweise. So wie die Bildwissenschaften von der Akademia eine stärkere ikonische Ausrichtung verlangen, so ist auch die Unternehmenskommunikation aufgefordert, dem Medium Bild zukünftig mehr Aufmerksamkeit und Ressourcen zu widmen.

Gefordert ist ein »Visual Turn« in der Unternehmenskommunikation. Neue Fähigkeiten, Strukturen und Instrumente sowie ein neues Selbstverständnis der Unternehmenskommunikation sind notwendig, um den Wechsel von einer textlastigen Informationspolitik hin zu visuellem Storytelling zu vollziehen.

Neue Skills in der Unternehmenskommunikation

Um visuelles Storytelling konsequent umsetzen zu können, darf sich die Unternehmenskommunikation nicht mehr nur als Vermittlerin von Information verstehen, sondern muss selbstbewusst als Publisher, Mediengestalter und Storyteller auftreten.

Da ist zunächst die Fähigkeit des Storytellings selbst. Journalistische Erfahrung und eine Marketingausbildung allein sind nicht mehr ausschlaggebend für einen Job in der Kommunikation. Kreative Storyteller, die mit Bild und Bewegtbild umgehen können und narrative Strukturen verstehen, kommen meist aus anderen Bereichen wie zum Beispiel Literatur, Scriptwriting oder Gamedesign. Multimediaexperten, die vor allem den »kleinen Screen« im Blick haben, ergänzen diese Teams. Sie sind die wichtigsten Schnittstellen zwischen Strategie und Kreation.

Neue Rollen in der Unternehmenskommunikation

Doch nicht nur die Qualifikationen der einzelnen Teammitglieder müssen sich verändern, um den »Visual Turn« in der Unternehmenskommunikation voranzutreiben, sondern auch Strukturen und Arbeitsweisen müssen sich anpassen. Unternehmen wie SAP, Microsoft Deutschland oder die Münchner RE sind einige der Pioniere, die früh neue Teamstrukturen und Formen der Zusammenarbeit ausprobierten, um sich auf die Erfordernisse der neuen, visuellen Medienwelt einzustellen. SAP führte die Funktion eines »Chief Storyteller« und des »Story Editor« ein. Und auch Microsoft testete neue Jobbeschreibungen wie »Themen-/Story-Owner« und »Channel-Owner« — neue Rollenaufteilungen, die es ermöglichen, sich auf Inhalte und Story zu konzentrieren, während andere die Bedürfnisse der Kanäle und Communities im Blick behalten. Ein »Chef vom Dienst« vermittelt zwischen beiden Gruppen.

Neben all diesen neuen Strukturen sind aber vor allem drei Arbeitsweisen neu und abweichend von der herkömmlichen Kommunikationsarbeit bisher:

1. Das Prinzip »Outside in statt Inside out«: Die Themenfindung orientiert sich nicht mehr so sehr an internen Prioritäten, sondern passt sich der externen Nachrichtenlage an. Eigene Unternehmensnachrichten werden gemäß der öffentlichen Relevanz justiert.

2. Multicasting: Unternehmensnachrichten werden nicht mit maximaler Aktualität einmalig veröffentlicht. Stattdessen werden Storys so produziert, dass sie in kleine Sub-Storys aufteilbar sind und zeitunkritisch weiterverwendet werden können. Statt »Ankündigungsjournalismus« bietet Multicasting die Möglichkeit, Texte und Bildmaterial — in unterschiedlichen Kontexten — immer wieder und weiter zu verwenden.

3. »Culture of Content«: Standen in der Vergangenheit zeitlich terminierte Kampagnen im Zentrum der Kommunikationsstrategie, gibt es heute mehr und mehr einen kontinuierlichen Strom an Inhalten und Storys. »Culture of Content« steht auch für den offenen Austausch mit kommunikativen Bezugsgruppen, die Einfluss auf die unternehmenseigenen Storys nehmen und sogar eigene Geschichten beisteuern (User-generated Content).

Die Erfolgsformel guter Stories

Schon lange ist das klassische »Sender-Empfänger-Modell«, in dem Unternehmen Botschaften versenden und Kunden brav empfangen, einem komplexen Netzwerkmodell gewichen, in dem jeder zum Sender wird und in dem die Empfänger die Botschaften selbstbestimmt filtern. Visuelles Storytelling kann sich in diesem wettbewerbsreichen Medienumfeld zwar leichter durchsetzen als pure Nachrichten, Fakten und Daten, doch auch gute Geschichten müssen sich die Gunst ihrer Rezipienten erarbeiten.

Lernen kann man hier von Netflix. Todd Yellin, Vice President of Product Innovation von Netflix, nannte bereits 2014 auf der Konferenz »Future of Storytelling« die drei wichtigsten Gründe, warum Zuschauer ganz bestimmte Geschichten mögen:

  • »Simple Escapism«: schlichte Unterhaltung und die Flucht aus dem Alltag
  • »Broadening Horizons«: vom Sofa aus die Welt entdecken
  • »Social Currency«: genau das ansehen, was andere auch ansehen, um sich der Gemeinschaft zugehörig zu fühlen

Relevanz als soziale Währung

Geschichten, die unterhaltsam sind, den Horizont erweitern und soziale Verbindungen knüpfen — ist die Erfolgsformel tatsächlich so einfach? Nicht ganz — denn besonders die »soziale Währung« einer Geschichte, die Frage, wann eine Geschichte als sozial relevant angesehen wird, ist nicht einfach zu analysieren. Aufschluss geben dabei der Kontext, in den eine Geschichte eingebunden ist, und die damit verbundene Relevanz, die einer Geschichte damit zugesprochen wird. Unterscheiden kann man dabei drei Varianten:

1. Zeitlicher Kontext: Storys, die auf einen bestimmten Termin, einen konkreten Anlass oder ein Ereignis Bezug nehmen, zum Beispiel Weihnachten (Beispiel: »A Parisian Winter Tale« von Montblanc), werden als relevanter angesehen und häufiger »geshared« als Geschichten ohne Bezug.

2. Inhaltlicher Kontext: Storys, die sich auf menschliche Wünsche und Grundbedürfnisse (Gemeinschaft, Freiheit, Selbstverwirklichung, Sicherheit usw.) beziehen oder offensichtliche menschliche Wahrheiten (»Consumer Insights«) thematisieren, die Rezipienten überraschen und in denen diese etwas über sich selbst erfahren, werden als extrem relevant eingestuft (Beispiel: #always — »Like a girl«).

3. Räumlicher Kontext: Storys, die auf bestimmte Orte und Erzählräume bezug nehmen. Vor allem aber Geschichten, die individuell auf den »Raum« zugeschnitten sind, in dem sie erzählt werden, werden als relevant wahrgenommen. Als »Räume« sind hierbei unterschiedliche Medien und Kanäle zu verstehen, die online wie offline als Storytelling-Plattformen dienen.

So einfach ist die Formel? Probieren Sie es einfach einmal aus.

Noch mehr Tipps zum Thema „Visuelles Storytelling“ finden Sie in dem Buch, aus dem dieser Text stammt: „Visual Storytelling: Visuelles Erzählen in PR und Marketing“ von Petra Sammer und Ulrike Heppel, Verlag O´Reilly. — und auf diesem Blog: Amazing Stories

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Petra Sammer

pssst… Petra Sammer is a communications strategist, ideacoach, creative, speaker & book author — www.petrasammer.com